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Clemens Krümmel

Dr. Syntaxx

Zwinger Galerie, Berlin, September 2024

Klar, es geht auch um Landschaften. Die Bilder von Peter Duka gelten in der Mehrzahl der Fälle als Landschaftsbilder. Er „kommt aus der Landschaft“. Wie historisch vereinbart, verfügen seine Gemälde über alles, was Landschaftsbilder brauchen: Sie haben einen Vordergrund, einen Mittelgrund, einen Hintergrund. Ebenen. Linearperspektive etc. brauchen sie nicht, eine Linie, etwas Horizontartiges reicht. Die Bilder haben außerdem Boden oder meinetwegen Grund, eine Vegetation mit oder ohne Menschen oder Tiere, einen Himmel mit oder ohne Wolken. Licht und Wasser, auch Spiegelungen. Obwohl das Querformat englisch „landscape format“ heißt, sind Dukas Landschaften in dieser Ausstellung hochformatig, also eher „portrait format“. Also Landschaften wie Spiegel, so dass die Landschaftsteile manchmal fast „menschlich“ wirken, wie ein innerer Horizont? Was hinter den Bildern ist? Also da regt mich schon die Frage auf. Fragt euch lieber, was davor passiert ist!

In Peter Dukas neuem Atelier war im letzten Jahr weit mehr los als je zuvor – nicht nur, weil etwas mehr Platz da war. Man konnte ihn dort gegen Mittag antreffen, umstellt von einer Batterie Leinwände, fast alle im selben Format, hundert mal achtzig. Und dann die ganzen Leute. Wer solche Assistent*innen hat, wer braucht da noch Kritiker*innen? Allen voran Doktor Syntax, pikaresker Forschungsleiter der experimentellen Bildabteilung, sein tief im 18. Jahrhundert#A1 verwurzelter kunstwissenschaftlicher Assi, immer noch und immer wieder „auf der Suche nach dem Pittoresken“. Von ihm stammt wohl die Idee mit den gleichformatigen Leinwänden – das soll helfen, in den Bildern Ross und Reiter (und Mähne und Kandare und Stall und Reise) zu trennen. Gemeint sind Kausalzusammenhänge und Wirkungsweisen unterschiedlicher Einflussgrößen im Malerischen, in der Experimentalreihe, dem methodisch angelegten Versuch zur empirischen Gewinnung von Information, zur Klärung von Vorgängen und Umständen, zur Bestätigung von Theorien, als Grundlage neuer Erkenntnisse. Doktor Syntax, der Assi, der seinem wichtig klingenden Namen neuerdings ein zweites „x“ aufmultipliziert hat, Richtung Hardcore wahrscheinlich, hat auch einen tolpatschigen Hiwi: Mr. Clutter, dem im Bild alles Poststrukturelle, alles nicht oder nicht mehr Figurative überlassen ist. Sein Problem: der Doktor hat ihm erzählt, seine Arbeit  habe „linkisch“ zu sein, unvordenklich, unvereinbar, wie eine gegenstandlose Tarantel auf einer romantisch-satten Inmitten-Sachertorte. Kurz gesagt, er hat gelernt, sich zu misstrauen, obwohl er naiv sein müsste. Massives Unschuldsproblem. Peter Duka und Doktor Syntaxx reden öfter in einem Ton mit ihm, den man bei Kindern anschlägt.

Duka versucht nach Kräften, mit den beiden zusammenzuarbeiten, denn sie sind, für sich gesehen, weit mehr als nur Hilfskräfte, eher jahrzehntelang auf Exzellenz getrimmte Spezialisten. Die aus der Bratpfanne in die Gasflammen springen, die im Laufe der Zeit immer mehr über immer weniger wissen, bis sie alles über nichts wissen. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Kopf und seine eigenen Hände, und natürlich weiß Peter Duka auch, dass die Leser*innen von Robert Louis Stevenson erst im 9. Kapitel erfahren, genau wie sich Doctor Jekyll und Mr. Hyde eigentlich zueinander verhalten. Er weiß, dass sich sein (inneres) Atelier jenseits von Syntaxx und Clutter über die Jahrzehnte mit zig hochqualifizierten Spezialkräften – zum Romantischen, zum Erhabenen, zur Karikatur, zur Anthropomorphie, zum Idyll, zur Farce, zum Naturschönen, zur Ekstase, zum Nichts, zur Cultural History X – so pickepackedicht gefüllt hat, dass man für eine „flatness“ der Malerei – so es sie denn gibt – von Herzen dankbar sein dürfte. Neben dem sauberen Doktor und der leicht zu beeinflussenden Schlierenschleuder Clutter addieren nun seit einiger Zeit ein paar der Dauergäste im Atelier zur Geschichte des Künstlichen die Geschichte der Künstlichen Intelligenz. Und die einst Schritt für Schritt alla prima taxierte malerische Produktion mit ihren ehrlichen und versteckten Korrekturen explodiert inzwischen auf Dukas digitalen Tablet in tausend Richtungen der unendlichen Reversibilität, Apfel-X, Apfel-Z sozusagen – da soll das „spezifisch Malerische“ nicht drunter leiden? Wie uns das Vermeintlich Neue Erhabene des Digitalen zurzeit und wer weiß wie lange noch desorientiert und tipsy macht, ist Dukas Malerei nicht nur auf irgendeiner symbolischen Ebene den Unbilden der postmalerischen Wirklichkeit ausgesetzt. Die Spezialist*innen streiten sich, das Problem Malerei bleibt. Und die Landschaft, einst aufklärerisches Powertool der Weltergreifung, ist die Armlänge des Malers, der leere Raum vor seinem Kopf, der nicht einfach mit irgendwas gefüllt werden kann, obwohl Irgendwas in Legion gleich außerhalb des Gesichtsfelds drängelt und rein will.

Mitunter schon ungnädig – das Digitale etwa muss erst mal draußen bleiben (bleibt aber daheim genährte liaison dangereuse) –, empfängt Duka all diese komplizierenden Komplizen doch höflich und pflichtbewusst in seinem Atelier. Er will sie sehen und mit ihnen Umgang haben, so gut wie möglich. Mehr noch als der poststrukturalistische Doktor Syntaxx, der das „Bild im Bild“ und den „Abgrund im Abgrund“ will, der mit dem Verschwinden und Wiederauftauchen des Figurativen, des bildnerischen und gebildeten Subjekts inmitten der randomness von Mr. Clutters Chaos-Lingo sucht, das abwechselnd nach inniger Zuwendung ruft oder einem anscheinend voller Verachtung eine liberale Menge bunter Farbe ins Ponem katapultiert – mehr noch als das will er (auch auf seinem Instachannel) unbedingt wissen, was von dieser notwendig großen Menschenmenge nach draußen dringt, wie es wann auf wen wirkt, was unter all den spezialist*innengenährten, aber auch seinen eigensten Wissensdepots an Ebenen, Formen und Handgriffen wirklich für euch sichtbar und spürbar wird. Die Leute zwischen ihm und den Bildern: eine quecksilberhafte Gemengelage, die Bilder: ein immer hinreißendes, mitunter sattes, mitunter fadenscheiniges Geschichte an den Rändern des Malerischen, das ihm tageweise das Äußerste an Frustrationstoleranz abverlangt. Sie sind alle da, keiner führt ihm die Hand. Was kann ich dafür, O Erde voller Dornen, dass ich ein Einhorn bin.#A2

Anmerkungen

Julio Cortázar, “Der unnötige Schutz”, aus dem Spanischen v. Rudolf Wittkopf, in: ders., Letzte Runde, Frankfurt am Main 1984, S. 136, orig. „La protección inutil“ (1969).

William Combe (1742–1823), „The Tour of Dr Syntax in Search of the Picturesque, a Poem“, London1809ff., erste von drei „tours“, geschrieben auf der Grundlage von Thomas Rowlandsons (1757–1827) 31 großartigen Illlustrationen. Online lesbar unter https://publicdomainreview.org/collection/dr-syntax/ – Deutsche Ausgabe: „Die Reisen des Doktor Syntax. Hg. von Wolf-Dieter Bach, mit einem Beitrag von Norbert Miller und Karl Riha, München 1983.



Hans-Jürgen Hafner

Peter Duka bei Zwinger Galerie

Auch für seine aktuelle Ausstellung „Inspector Louis Marais 1777“ bei der Zwinger Galerie ruft Peter Duka schon im Titel einen Referenzrahmen auf, der – wie zuvor „Die Reise des Doktor Syntax auf der Suche nach dem Pittoresken“ (2015) in der Städtischen Galerie Waldkraiburg und „Rameaus Neffe“ (2012), ebenfalls bei Zwinger – nicht ohne Koketterie auf das kulturell/intellektuelle Milieu der Spätaufklärung an der Wende des 18. aufs 19. Jahrhundert verweist. Als ‚Namenspatron’ der Ausstellung tritt diesmal eine historische Figur auf, die vor allem als Gegenspieler des berüchtigten Libertins, Schriftstellers und Philosophen Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade bekannt geworden ist: Louis Marais, Polizeiinspektor „bei der Sitte“. Dieser hatte die Aktivitäten des Marquis seit 1763 beobachtet und eskortierte ihn, offenbar auf Sades Wunsch hin, 1777 in die Festungshaft im Staatsgefängnis Vicennes, das Entrée zu einer Folge langer Einkerkerungen und Startpunkt für die intensivierte schriftstellerische Tätigkeit des Marquis.


Die Referenz auf Sades pflichtbewussten „Satelliten“ ist per se schon einigermaßen interessant, suggerierte sie doch die Identifikation mit der Seite der Ordnung. Aber auch ausstellungstaktisch erweist sie sich als kluger move. So unvermeidlich es nämlich ist, mit Marais die Figur des Libertins zu assoziieren, so wenig bleibt es aus, dass der Gang durch die Ausstellung beinahe zu einer Art Spurensuche nach einem verbindenden Motiv zwischen oder gar einer Geschichte hinter den Bildern wird. Diese tun ihrerseits dann aber herzlich wenig, um die im Titel suggestiv angetriggerte textuelle Verbundenheit tatsächlich zu bestätigen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Die in mehreren Bildern variierte inscriptio „ILM 1777“ ist eine allzu offensichtliche Fährte. Die rund zwanzig, in der Regel kleinformatigen und zwischen 2014 und 2016 realisierten Gemälde fallen zueinander recht unterschiedlich aus. Speziell die jüngeren heben sich von Dukas früherer Arbeit zudem durch eine zunehmend artifizielle Kolorierung ab. Die aktuellsten Arbeiten sind exzessiv überzogen, ja förmlich zugeballert mit Spritzspuren, die als physische, präsent belassene Farbkrakel, Motiv- und Schriftwerdung gleichermaßen ausschlagen. Darüber hinaus – und dem Titel damit zum Trotz – gibt sich die Schau keine erkennbare Mühe, ‚ausgestellt’ aufzutreten: das heißt die einzelnen Exponate erzeugen in Auswahl, Präsentation oder dezidierter Installation zueinander kaum eine Konsistenz als ‚Ausstellung’. Der schlüssige (Hyper-)Text, der auch nur eine halbwegs stabile, auf die einzelnen Bestandteile zurückverweisende Story formulieren würden, fehlt.


Dabei hält sich die Enttäuschung darüber, dass das im Titel suggerierte Interpretationsangebot in den Bildern selbst nicht übers Triggern hinausgeht, die Waage, mit dem Genuss am gemalten Bild, den jede einzelne Arbeit für sich auszulösen versteht. Nebenbei: Dazu passt eine sich mit jedem Aufruf nach Zufallsprinzip neu ordnende Bilder-Homepage mit den Gemälden und zusätzlichen Zeichnungen zum „Inspector Marais“, die Duka als digitale extension seiner Schau beigegeben hat.


Einzelne Elemente der Bilder lassen sich dennoch als Motivpartikel daraus isolieren und vielleicht auch im Vergleich über die einzelnen Bilder hinweg im Sinne der Marais-Erzählung signifizieren. Tatsächlich sind Dukas sowohl in Öl wie in Acryl auf Leinwand ausgeführten Gemälde voll von historisch ‚stimmigen’ Signalen. Stilistisch betrachtet, erinnern sie an die Bizarrerien damals hochgradig ‚konzeptueller’ Rokoko-Bildkonstruktionen, meist irgendwie ‚gestörte’ Pastoralen, brüchig gewordene Idyllen und – inhaltlich/historisch – ans Feudale, an Erotik und Revolution. Neben Parks und Landschaftsgärten, zu gleichen Teilen nackten weiblichen und befrackt/bedreizackten männlichen Figurinen á la Friedrich II., auf Stangen gespießten Jakobinermützen und pudrigen Perücken, kommen aber auch völlig zeit- und kontext-fremde Elemente hinzu: ein fünfarmiger Krake beispielsweise, ein mit Prinzessinnenkrone geschmücktes Pony, ein einsamer, fackeltragender Kentaur. Antikisierende Mischwesen aus ‚wildem Mann’ und schlanker Nymphe machen mit Fingerzeig auf Hans von Marées’ matschigem Impasto oder James Gillrays satirisch-erfinderischer Linie ihre eigene, anti-modernistische Rechnung auf, wozu eine in allerhand Farbkrakel eingesenkte Figur in weißem Bodysuit und schwarzem Zylinder samt Stöckchen bestens passt: der Burgess/Kubrick-Charakter Alex DeLarge aus dem Film „A Clockwork Orange“ (1971) fügt sich thematisch wie selbstverständlich in den angedeuteten prä-modern libertären Zusammenhang ein. Dazu kommt jede Menge, es wurde bereits erwähnt, Farbmasse, die – gekritzelt, gespritzt, auf jeden Fall aber ‚künstlich’ auf die Bildfläche draufgesetzt – weder so recht gestaltetes Dekor noch dezidiertes Motiv sein will.
Vieles an Dukas Schau würde sich gut jener Topik einer „anderen“ Moderne zuordnen lassen. Diese stellt ihre Legitimation üblicherweise über den Rekurs auf die „schwarze“ Romantik, den Symbolismus und Surrealismus her, traditionell dubiose, weil allzu gern von Seiten der Reaktion beanspruchte Stile. Dafür wird ebenso gern Malerei und da zumal das figürliche Genre bemüht. Dies nicht zuletzt, um im Sinne der vor allem auf dem Kunstmarkt noch behaupteten Frontstellung zwischen Progressivität/Abstraktion und Reaktion/Gegenständlichkeit aus pittoresker badness, ins Virtuose gewendeter Kleinmeisterlichkeit und anachronistisch Nerdigem Kapital zu schlagen.


Dukas malerischer Ansatz zielt, technisch gesehen, seit langem aufs Pittoreske, Unzeitgemäße. Konzeptionell baut er hoch reflektiert auf die gleichermaßen bildkünstlerische und künstlerforscherische Exegese historischer Bildtypen und Ikonographien gerade auch aus den entlegeneren Bereichen der Kunstgeschichte, wie populärer Grafik und Karikatur – ein Rezept, das als regelrechte Garantie für kunstbetriebliche Randständigkeit gelten konnte. Aber mit der noch ihre widerständigsten Nischen erfassenden Rehabilitation der Malerei während der letzten eineinhalb Jahrzehnte, dem Erfolg einer jüngeren Generation pittoresk-gegenständlich und könnerschaftlich bad malender Künstler/innen wie Vittorio Brodmann, Jana Euler oder Peter Wächtler sollte seine malerisch mindestens ebenso kapriziöse wie historisch informierte Bildkunst gerade heute konsensfähig sein.


Ein ziemlich guter Punkt an „Inspektor Louis Marais“ bleibt gleichwohl: wo heute vor lauter zur Institution geronnenen und zugleich als Währung missbrauchten Malerei kaum mehr die damit hergestellten Bilder gesehen werden wollen, verlässt sich diese Schau ganz und gar auf sie. Die Ausstellung stiftet dabei interessante Anlässe, über andere mögliche Entrées zu einer modernen (Bild-)Kunst nachzudenken.

„Peter Duka: Inspector Louis Marais 1777“, Zwinger Galerie, 19. November 2016 bis 26. Januar 2017



Monika Rinck

Gehilfen ihrer selbst

Lauft herbei auf den Spuren meiner herben Seele: Treuer Hund und stolzes Pferdchen. Wie seht ihr die Landschaft gedeihen? Gewaltig. Ja, das tue ich auch. Löst sie sich nicht anspruchsvoll und überaus gesprächig, wie ein gerade noch mal gut gegangener Unglücksfall, auf in ihren Vordergrund? Siedelt dort partikelweise? Heftet sich überall an – und durchdringt das Zentrum, dem sie einst Umgebung war. Sie läuft sich frei, ist ausgewildert, verlässt die eigenen Mitte und bereitet sich, verborgen in neuen Hinterhalten, irgendetwas zu mit Aprikosen. Einen Flan, nehme ich an, oder eine brûllende Creme, von neoromantischem Flitter umschwärmt. Tritt nun der Paddler des Herrn aus dem Erlenschatten? O weicher Flaum der Aprikose! Du überstehst nicht deine Zubereitung, klagt der treue Hund. Der Paddler aber – kommt noch nicht.

Ich will (ganz ohne Ich) mit Euch sprechen, ich will Halm sein und wispern, eine Knospe, ein Saugnapf, eine Struktur. Zum stummen Ritual bewölkt sich der Himmel, ja er bewappnet sich gar. Wessen Wappen mag das sein? Raten Sie nur. Es stürzen flüchtig hingemachte Hörnchen durch den Schlot der ockerfarbenen Abluft hinab. Und hinter alldem erhebt sich die Möhre. O Möhre, rufen treuer Hund und stolzes Pferdchen, hilf uns den Himmel zu deuten. Was zum Beispiel heißen uns die Spuren von Lavendel zu tun? Oder ist dies gar der Spätausläufer der Teilpopulation Veilchen? Sind’s getarnte Royalisten? Und hellrosa-farbene, ins gelb hinüberwandernde Ringe bedecken im Vierklang aller Jahreszeiten die Tiepolo-Bläue. Eheu! Eheu! Wie das? Die Fichte war‘s. Ach so, die Fichte, die klagte, die darf das, mein Herzchen. Schon bald kommt der Herbst, dann fault auch das Laub. Der soeben eingetroffene Paddler der Apokalypse muss wieder nachhause gehen, er hatte neben der Startnummer auch die Posaune vergessen, verspricht aber baldige Rückkehr.

Ooch ma modern jewesen, wa? – Das jeht Ihnen jarnüscht an!

So geschieht es: Die verwirrten Nachrichten überbringen, die überbrachten Nachrichten verwirren – weswegen die Gesandten auch Schalter genannt werden. Sie durchqueren Tauschstationen, und treten nach zehn spanischen Metaminuten ebenso routiniert wie verwandelt vor deren Tore, dort haben sie als erstes das Wetter zu prüfen. Es sind Gehilfen ihrer selbst und sie sind ausnehmend fleißig. Über das Wetter haben sie vieles zu sagen, denn sie betrachten es als Grundatmosphäre des Gegebenen und damit als gleichbedeutend mit Ideologie. Mehrere hochgradig ruinierte Wetterlagen verballen sich südwestlich des Durchschlupfs. Der Luftdruck unterschreitet Sohle, Hufe und Pfote. Empfindliche Menschen werden gebeten, den Rührer zu betätigen und fleischfarbene Cluster zu meiden. Bitte bewegen Sie sich in Richtung des Wedelns. Treuer Hund und stolzes Pferdchen werden Sie dort in Empfang nehmen und mit neuen Koordinaten bezüglich der Revolution versehen.

Herrscht dann bald etwas wie Gerechtigkeit? Kleintiere haben ernsthafte Einflüsterungen, auf die keiner im gnostischen Lesekreis hört, das wird sich als Fehler erweisen. Denn ihr Atem ist eine Faust! Ihr Blick ist eine fatale Girlande! Das Echo ihrer Pfote ist diakritisches Zeichen aus der Welt der Ahnen. Ihre Eingebungen erleuchten die verfinsterte Schnauze der Welt. O ihr Menschen, mit welcher Verspätung nehmt ihr das Offenkundige wahr! Ihr werdet das Boot verpasst haben. Ihr werdet den Teig verprasst haben. Ihr seid nur noch ein Schatten im Treppenhaus der Revolution, vom gegenüberliegenden Hotelzimmer aus gesehen. Ist dies die Zukunft gewesen? Das kann nicht sein. Ein Agent, der für niemanden arbeitet, arrangiert den Inhalt der Nachrichten um, nach einem nur ihm begreiflichen Schema, das Akteure und Erleidende verkehrt, sich als Wurzel des Geysirs ins Erdinnere versprüht, ein Schema also, das mutwillig und kühl ist, nicht einmal zynistisch. Warum tut er das? Wegen der gigantischen Rübe! Müssen Sie noch mehr darüber wissen? Ich glaube nicht. Wo liegen, fragt Benjamin 1929, die Voraussetzungen der Revolution. In einem neuen Verhältnis zum Rausch und zum moralischen Exhibitionismus, gegen die vormals aristokratische Diskretion, die nun als Tugend arrivierter Kleinbürger begegnet.[1]

Pastellene Höllen? Nein, das ist das leicht verschobene Idyll, durchscheinend wie von innen beleuchtete Träubchen auf Barockgemälden. Pfirsiche, Kirschen – und der umgekippte Kelch aus Zinn, der sagt, jetzt ist es aus. Zucker. Zuckerstaub. Sucre. Überzuckerte und bepuderte Affekte stehen bereit. Das verquastete Jammertal, es wurde geflutet, etwas anderes ist jetzt seit Jüngstem beflosst. Oder mit acht Armen begabt. Ah, schauen Sie, es ist ein Oktopus, er ist soeben aus dem lindgrünen Nichts erstanden. Aber, aber, mon Semblable, mon Frère, mon Président, wo acht Arme ich erwartete, zähle ich heute nur fünf! Fünf was, bitteschön? Fünf Arme, Arme des Oktopus. Die Stoiker verglichen die Seele übrigens mit einem Oktopus, dessen acht Fangarme die fünf Sinne, also sehen, hören, tasten, schmecken, riechen sowie, zusätzlich weitere drei, die Sprache, die Fortpflanzung und das Denken!, repräsentieren. So kamen sie auf acht. Jetzt läge es freilich nahe, den fünf verbliebenen Armen des so verminderten Oktopuss‘ die traditionellen fünf Sinne zuzuweisen, was aber wenn dieses Wesen, das zudem an einem Seil zu baumeln scheint, Fangarme besitzt, ganz anderer Natur? Womit wäre ihm in seiner Lage denn gedient? Vielleicht mit dem Fangarm Fiktion? Es ischt nur ein Trauhm. O. Ach so. Er stürzt hinab und landet plunderweich. Was für eine Überraschung!

„Die Ästhetik des peintre, des poète ‚en état de surprise‘, der Kunst als Reaktion des Überraschten ist in einigen sehr verhängnisvollen romantischen Vorurteilen befangen. Jede ernsthafte Ergründung der okkulten, sürrealistischen, phantasmagorischen Gaben und Phänomene hat eine dialektische Verschränkung zur Voraussetzung, die ein romantischer Kopf sich niemals aneignen wird. Es bringt uns nämlich nicht weiter, die rätselhafte Seite am Rätselhaften pathetisch oder fanatisch zu unterstreichen, vielmehr durchdringen wir das Geheimnis nur in dem Grade, als wir es im Alltäglichen wiederfinden, kraft einer dialektischen Optik, die das Alltägliche als undurchdringlich, das Undurchdringliche als alltäglich erkennt.“[2]

Als neo-antike Freunde des in die Pflanze beim Selbstopfer der Weisheit hinein gedrungenen Lichts, als genuine Kenner all jener verstreuten und veruntreuten Lichtfunken, die in die Pflanzen hineingeraten, geplatzt und erneut hineingeraten sind – als solche eben, wissen wir, dass am Ende der Tage die Pflanze ihr Licht an uns alle zurückgeben wird, in einem gewaltigen blendenden Welt-auslöschenden Spektakel, dass sie es verteilen wird wie ein Oktopus, vor einer entzückenden, völlig überbelichteten und schon bald vernichteten Landschaft, mit all ihren Armen! Ja, ihren pflanzlichen Armen. Möchten Sie nicht auch dabei sein, wenn sich dieses vollzieht? Das Unterfell, die Wolle des Geschehens fühlen und sich an jenen allerletzten Tagen wärmen? Ja, das wollen Sie. Das wollen Sie gewiss.

Gespenster der Liebe, zugeneigte Geister, flatterhafte Historienmaler, O Du Schmetterlingsherd, wo die Milchsuppe der Intuition schmurgelt. Das Menetekel ist ein luftiges Gebäck, aus Brandteig gegossen oder mit der Tülle verspritzt. Wir sind dem Guten, dem radikal Guten auf der Spur. Nehmen Sie doch bitte etwas Sahne, ich habe Sie eigens für Sie geschlagen! Es ist der Vorabend der Revolution. Die Dinge erscheinen irgendwie elend und überkommen. „Sie bringen die gewaltigen Kräfte der ‚Stimmung‘ zur Explosion, die in diesen Dingen verborgen sind. Was glauben Sie wohl, wie sich ein Leben gestalten würde, das in einem entscheidenden Augenblick sich gerade durch den letzten beliebtesten Gassenhauer bestimmen ließe?“ [3]  Hm, dies käme gewiss auf den Gassenhauer an, auf meine Geistesgegenwart und Befähigung zu Subversion und guter Laune, sowie die waldinterne Witterung. Ich hätte hier ein farbstark illustriertes Röntgenbild davon, das wir leicht verfremden mussten, nur zu Ihrer Sicherheit. Es entstammt der letzten Zukunft.

Bitte berichten Sie mir in größerer, in größter Ausführlichkeit davon, ich bitte Sie. Figürchen bewohnen Tortenstaaten. Teilpopulation, Ethnien, Petit Fours, der steinerne Begriff des Brüterich, das Ancien Régime brodelt und blüht. Wir haben etwas sehr Süßes, sehr Kompliziertes, quasi Vorgesellschaftliches gebacken. Es ist ganz lieblich, nicht wahr – es ist die vulkanische Unterseite des Idylls, die sich getarnt an die frische Frühlingsluft gewendet hat, gedreht, mithilfe eines Mechanismus aus Farbstaub, Magnetismus und der Unzufriedenheit der Massen. Ah, diese Massen, hakt das stolze Pferdchen ein, gibt es die eigentlich noch? Eine Masse aus Angst und Trübsal vermengen, sehr lange vom Personal kneten lassen, etwa drei Wochen ruhen lassen, dann abbacken und glasiert mit Verdruss über die Brücke in den Ablauf des Seinekanals werfen – so geht es mit dem Backen. Ob das Kuchen oder Brot war, muss eine Kommission in Verkennung jeder Evidenz in einem abgedunkelten Raum anhand von Tarock-Reihen entscheiden. Hicks.

„Es ist ja eigentümlich mit der Dialektik des Rausches bestellt. Ist nicht vielleicht jede Ekstase in einer Welt beschämende Nüchternheit in der komplementären?“[4]  Hm. Ich bin in gleichem Maße dagegen wie dafür, sagt das stolze Pferdchen. Hier herrscht kein gleichmütiger abgefuckter Opportunismus, sondern das bis ins Äußerste mit all meinem Begehren verspannte Schizogefühl. 100.000 Meilen Tau – ja, du treuer Hund, das hast Du ganz richtig gezählt. So viel Tau war nötig gewesen, um alles auf hinreichend schizoide Weise miteinander zu verspannen. Schließlich konnte man sogar Buchstaben sehen, ja, sehen und lesen. Es war enorm, auch entstanden wie ein Menetekel aus Brandteig Zahlen am ochsenblutroten Himmel. Brot und Kuchen, liest das stolze Pferdchen vor und schnaubt. Und, sagt das Pferdchen, mit überdeutlicher Betonung: ‚und‘ – was ist das nur für ein Wort, wie es verbindet und wie es trennt: und. Früchte und Brot. Früchtebrot Fürchtegott Bach, sein gewaltiges Werk für Violoncello. Die überbordende Tafel auf der einen, die armselige Leere auf der anderen Seite. Der Versuch, Kontakt zu den proletarischen Massen zu gewinnen, war kontemplativ nicht zu bewältigen. Nach wie vor zeigten sich Zahlen am Himmel. Was hat das zu bedeuten?

Die Toten kommen zurück, um in unseren Automobilen und Schlafwägen zu fahren. Das hat das zu bedeuten, sagt der treue Hund. Der für immer schwindende Horizont? Ich weiß nicht, sagt der treue Hund, wo ich ihn zuletzt erspähte. Erspähte, erspähte, mokiert sich das stolze Pferdchen. Als wäre das nicht alleine schon beunruhigend genug, klopft es wiederholt an der farbüberströmten Tapetentür! Es klopft heftig! Wer ist’s, mon Semblable, mon Frère? Moment, mon Président, wir müssen die Türe erst finden! O – es ist der Inspecteur Marais! Mon Dieu! Er holt sogleich das Heftchen hervor. Siegerkunst, notiert er. Renegatentum, das auch, und Regression, ja, visionistische Emphühlie, Hochrevolution, Saigon, eine Paddler-Posaune des Jüngsten Gerichts, Creme Brûlée, sowie Lingerien aus Belgien und Graz und diverse ungeheuerliche Instrumente, Haustierhaltung, Medizintechnik, Farbpartikel, Spermaspuren. Dies ist die Malweise des Boudoirs, schon wieder ist der esoterischen Dame ein Spitzentüchlein hinabgestürzt. Hören Sie die Symbolisten winseln? Wenn der Inspecteur Marais hohl und farbenfroh die Obsession der anderen inspiziert, was findet er vor: Scheue Exponate? Stolze Exempel? Entschlossene Epatanten? Nein, es sind alles: Oktoepopöen auf sumpfigem Grund. Der Sumpf ist ja interessant. Der Inspecteur sieht sich im Recht, da „manche Elekti den Libertinismus als Ausdruck völliger Freiheit praktiziert haben könnten, gleichsam als Adelsprivileg einer neuen Menschheit, weil sie glaubten, dass alle weltlichen Gesetze auf den bösen Demiurgen zurückgingen und deshalb für sie keine Geltung (mehr) besäßen“.[5]  Hm.

Sie wissen sicherlich, dass es neben der asketischen Gnosis auch ihre hedonistische Abart gab, deren Vertreter davon ausgingen, dass die Vernichtung der hiesigen und Wiedererlangung der eigentlichen Welt durch das Begehen aller, und zwar wirklich aller menschenmöglichen Sünden zu befördern sei, doziert erneut der treue Hund. Es regnet indes weiter Jahreszahlen, Hermetismen und Markierungen von betörender Süße! Die monströse Möhre greift zum Szepter. Der holde Marquis zieht sich in sein Herpeszimmer zurück. Welche Freiheiten lagen doch einst im Obskuren, im Schönen, im Abgewehrten, Gegenläufigen, Antidotischen und Aporetischen und Sonstigem und allen Pflanzen im Garten. Der quadratische Wasserspiegel macht beinah dem Himmel das Verfinstern vor, er macht sich auf und zu. Grater. Krater. Goodness Gracious Me. Dies ist ein verstiegenes Motto, es ist das Motto der Versteiger. Extravagant ist: Es wird am Ende nicht genannt. Darüber brüten noch lange das stolze Pferdchen, der treue Hund und alle Gehilfen ihrer selbst.

[1] Walter Benjamin: Der Sürrealimus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz. In: Gesammelte Werke: Essays, Aufsätze, Satiren, Kritiken und Autobiografische Schriften. Ebook. e-artnow, 2014,
[2] Walter Benjamin: Der Sürrealimus, a.a.O.
[3] Walter Benjamin: Der Sürrealimus, a.a.O.
[4] Walter Benjamin: Der Sürrealimus, a.a.O.
[5] Gisela Bleibtreu-Ehrenberg, Der Leib als Widersacher der Seele. Ursprünge dualistischer Seinskonzepte im Abendland, in: Jüttemann, Sonntag und Wulf (Hg): Die Seele – Ihre Geschichte im Abendland. Göttingen 2005. Seite 79



Gerrit Konfurius

Affenhusten

All die Stile, Bewegungen, Schulen, haben sie denn nicht alle nur den einen Traum, eine künstlerische Großfunktion zu erfüllen, Dienste zu leisten als offizielle Staatssprache, „mit den Herren der Signifikanten zu sein, der Metaphern, der Ikonographien, oder sich gar selbst zu solchen Herren zu machen“? 1) Hier geht es um den entgegengesetzten Traum, klein werden zu können. ein Klein-Werden zu versuchen. (Und wenn Peter Duka damit heute schon nicht mehr allein sein sollte, weil sich, wie Deleuze mutmaßte, die Antiphilosophie als Machtsprache versteht, dann tut er gut daran, diese Chance zu nutzen.) Hier spielt, in Analogie zur kleinen Literatur, als die Deleuze Kafkas Erzählungen einstuft, eine kleine Malerei, eine Bildsprache, die „sich jederzeit überkugelnd, davonrasend, sich Hals über Kopf in die Büsche schlagen“ könnte. „Die Form füllt sich mit Hunger“. 2) Der Maler läßt sie wie einen Pfeil vibrieren und auf einer Fluchtlinie „abschwirren“. Er will in den malerischen Motiven das Hundegebell, das Affenhusten, Pferdewiehern, Käfersummen freisetzen, der Malsprache die unterentwickelten Momente entreißen, die sie durch Posen vor sich selbst verdecken will, und so dem symbolischen und bedeutungsschwangeren Gebrauch der Malmotive einen intensiv-materialen Ausdruck gegenüberstellen. Dessen Glanz liegt darin, daß er klein ist. Er schafft damit etwas gemeinsames, dem andere folgen können. Das Dargestellte verweist nicht auf ein Subjekt, einen Meister oder einen Helden. Wie Josephine, die singende Maus will er aufgehen in der „zahllosen Menge der Helden“. 3) Es gibt keinen Meister, es gibt nur Motivverkettungen.

Es geht um das Verlangen, und das Verlangen ist nicht Form – jede Form wäre die falsche und eine Enttäuschung – es ist Fortgang, Prozeß, Wanderung. „Es geht nicht um die wohlgeformte Bewegung geradewegs hinauf zum Himmel oder geradeaus nach vorn, es geht nicht mehr darum, die Decke zu durchbrechen, es geht nur noch um ein ‚Sich-in-die-Büsche-Schlagen’“. 4) Es geht nicht um Freiheit, als Gegensatz zu Unterwerfung, sondern ganz einfach um einen Ausweg, wo immer der sich verbergen mag, „rechts, links, wohin immer“, so wenig signifikant wie möglich. Kafkas musizierende Hunde machen „entsetzlichen Lärm“, aber man weiß nicht wie, da sie weder sprechen noch singen noch bellen, sondern die Musik „aus dem leeren Raum hervorzaubern“. 5) Bei Josephine ist es unwahrscheinlich, daß sie tatsächlich singt, sie pfeift bloß, nicht einmal besser als andere Mäuse, eher schlechter, wodurch das Geheimnis ihrer nicht existenten Kunst nur noch größer wird.

Wir sehen den Protagonisten bei seiner Flucht aus den Territorien und Triangulierungen der Familie, der Bürokratie, des Kunstbetriebes, des Geschäfts, immer kurz davor, auch ein Tier zu werden. Dabei, eine Welt aus reinen Intensitäten zu finden, wo alle Formen sich auflösen oder sich noch gar nicht endgültig gebildet haben. Er negiert alle Bedeutungen, Signifikanten, um ungeformte Materie, deterritorialisierte Ströme übrig zu lassen. Etwas liegt in der Luft, vielleicht ein Pfeifen, ein Piepsen, ein Husten, eine Tierstimme, das den Motiven und Signifikanten ihren Sinn entreißt, „es freimacht von den Fesseln des täglichen Lebens“, wie Josephine. Es geht weniger um das Menschwerden des Affen oder Hundes, indem sie den Menschen nachahmen, eher um das Affe-Werden, Hund-Werden des Menschen, indem dieser sich demnächst in die Büsche schlägt und einen Ausweg findet. „Es verlockte mich nicht, die Menschen nachzuahmen; ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg suchte, aus keinem anderen Grund“. 6)

1) Gilles Deleuze, Felix Guattari, Über Kafka. Für eine kleine Literatur. Ffm 1976  
2) Ebenda  
3) Franz Kafka, Josephine, die Sängerin, oder das Volk der Mäuse.  
4) Franz Kafka, Bericht für eine Akademie  
5) Franz Kafka, Forschungen eines Hundes  
6) Franz Kafka, Bericht für eine Akademie